Vergeudete Moderne
Wenn wir eine Stadt betrachten sind wir es gewohnt uns mit dem Eindruck, den uns die gebaute Umwelt gibt zufrieden zu geben und es fällt uns schwer uns vorzustellen, wie z.B. ein Stadtraum anders hätte aussehen können. Die gebauten Ergebnisse finden wir zwar schön, bzw. nicht schön, aber wir haben natürlich kein Bild von den Alternativen, die in der Wettbewerbsphase zur Debatte standen. Und manchmal sind es sehr knappe Entscheidungen, die den Ausschlag für das eine oder das andere Projekt geben, bzw. es geben Argumente den Ausschlag, die heute vielleicht anders gewichtet werden würden. So gibt es Projekte, die es nie geschafft haben gebaute Realität zu werden, die uns aber heute wieder interessante Ideengeber sein können, bei der erneuten Annäherung an ein städtebauliches Problem.
Auf der anderen Seite gibt es die Entwürfe, die als Architekturdarstellungen sehr prägend gewesen, und im Kopf der Architekten, oder zum Teil auch in der Bevölkerung, haften geblieben sind. Sie wurden nie gebaut, aber oftmals die Bedingungen und Herausforderungen ihrer Zeit widerspiegelnd, waren sie am Ende sogar wichtiger und stilbildender für die zu dem Zeitpunkt vorherrschenden Strömungen, Meinungen und Denkweisen. Sie sind Utopien der Architektur, deren Entstehungszeit es Ihnen nicht erlaubte, oder ermöglichen konnte, gebaut zu werden. Dabei waren sie oft zukunftsweisender als manch gebautes Projekt. Heute haben diese auf Papier gebauten Träume häufig einen ganz besonderen Stellenwert in der Architekturdiskussion. Vielleicht kann man Sie als Vermittler zwischen Vergangenheit und Zukunft sehen.
Mies van der Rohes Bürohaus an der Friedrichstrasse in Berlin gehört zu den Papier gebliebenen Projekten der Moderne, die auch ohne Realisierung stilbildend für eine ganze Architekturepoche stehen.
Im Vergleich zu diesem „Standbild der Moderne“, erleben wir unsere heute zunehmend bildbestimmte Umgebung wie ein Filmclip, schnelle Bildfolgen mit immer kürzerer Halbwertzeit bieten immer spektakulärere Bilder. Mit unseren, in dieser medialen Welt geschulten Augen, werden wir die unrealisierten Projekte und vergessenen Bilder der Nachkriegsmoderne und darauf folgender Zeitabschnitte in Stuttgart aufspüren. Wir wollen die Schatzkammer der geplanten, aber unrealisiert gebliebenen Projekte öffnen und mit diesem Fundus eine ungleiche Zwillingsstadt bauen. Das Erlebnis der Alternative schärft den Blick auf die Möglichkeitsräume der Stadt.
Unter diesen Gedanken hat eine kompakte Exkursion durch die Stadt Stuttgart stattgefunden, um mal einen ersten Überblick zu erhalten, über die größeren Baumaßnahmen der letzten Jahrzehnte und eventuelle Alternativen, die am Zeitpunkt der Entscheidung auch zur Debatte standen. Das Ziel, um solche Projekte in der Stadt zu verorten und eine städtebauliche Analyse im Grundriss vorzunehmen, wurde während der Exkursion sehr gut erfüllt.
Betreuung: Dipl.-Ing. Ulrich Kölle